Ouverture 2. Mierscher Theaterdeeg (2023) © Pascal Seil, CNL

DREI GELINGENSKRITERIEN FÜR EIN THEATER, DAS NACHWIRKT

Lange war Theater – neben den Salons – der Ort bürgerlicher Öffentlichkeit schlechthin. Hier wurden die entscheidenden Themen verhandelt. Nicht nur in der Pause und nach der Aufführung wurde über das Gesehene diskutiert, die Debatte fand ihre Fortsetzung in den im 19. Jahrhundert aufblühenden Tageszeitungen und Periodika. Diese Exklusivität kann Theater im Jahr 2025 sicherlich nicht mehr für sich beanspruchen. Dass sich Öffentlichkeit im Verlauf der Zeit zersplittert hat – in den 1960er Jahren in eine von den Rebellierenden sogenannte Gegen­-Öffentlichkeit, die der, wie man sie nannte, manipulierten Öffentlichkeit selbstbewusst entgegengesetzt wurde, heute in viele Bubble-Öffentlichkeiten, wie sie sich in den sozialen Medien bilden.

Theatermatinee (2021) © Mierscher Kulturhaus

Die jüngste Form der Zersplitterung ist ein Auftrag an die Theater, sich erneut als Ort zu definieren, an dem Öffentlichkeit im emphatischen Habermas’schen Sinne stattfinden könnte, um eben dieser Zersplitterung etwas entgegenzusetzen, was vielleicht keinen universalen Anspruch zu erheben imstande wäre, aber immerhin eine stärkere Kohäsion aufwiese als das, was sich in irgendeiner digitalen Blase abbildet. Theater kann durch seinen Live-­Charakter, seine soziale Dimension und die Möglichkeit zur direkten Reaktion auch im Jahre 2025 ein Ort sein, an dem Öffentlichkeit sich konstituiert und auch wirkt; dies freilich besonders dann, wenn die Inszenierung irritiert, statt bloß Gewissheiten zu bestätigen. Im Folgenden seien drei Gelingenskriterien formuliert.

1: Nachwuchssicherung

Ein Theater, das sich ausschließlich auf das Stammpublikum fokussiert und den Nachwuchs ignoriert, wird sterben. In Luxemburg müssen wir uns in dieser Hinsicht keine Sorgen machen. Gerade im Tanztheater sieht man sehr viele junge Menschen. Teilweise sind sie so jung, dass man sich fragt, ob sie nicht eher im Bett als bei einem Sasha Waltz-Abend sein sollten. Darüber hinaus legen alle Theater im Land Wert darauf, so zu programmieren, dass junge Menschen angezogen werden. Allein in der Spiel­zeit 2024/25 gibt es einen Schwerpunkt „Jugend“ bei den hauptstädtischen Bühnen wie auch einen Jugend-Schwerpunkt bei den Mierscher Theaterdeeg, die im Mai 2025 stattfinden werden. Das Schöne dabei ist: Die Strategie, Jugend anzuziehen, geht bei den Theatern im Land nicht auf Kosten der Quali­tät. Man nimmt Jugend ernst und bietet ihr Qualität.

„THEATERSTÜCKE KÖNNEN AUF DER BÜHNE EINE WUNDERBARE WIRKUNG ERZIELEN. SOBALD ABER DIE AUFFÜHRUNG BEENDET IST, VERSTAUBEN DIE TEXTE, JA, SIE STERBEN, WENN SIE NICHT VON SHAKESPEARE, MOLIÈRE ODER DEA LOHER SIND.“

Was die Höhe der Eintrittspreise angeht – nicht nur, aber gerade auch für junge Menschen ein entscheidender Punkt –, führt Luxemburg die TOP 27 der EU-­Länder sicherlich an. Man kann sich im Großherzogtum wahrlich nicht beschweren, wo die beste Schauspielkategorie in keinem Theater mehr als 30 Euro kostet. Für die teuersten Opernplätze zahlt man im Grand Théâtre 65 Euro. Erzählen Sie das mal Ihren Freunden in Paris oder München. Das Theater ist in dieser Hinsicht weder Weihnachtsmarkt noch Schueberfouer, die Preise sind seit Jahren stabil. Ermäßigungen gibt es dann auch noch für junge Menschen; einen sozial wertvollen Kulturpass gibt es auch. Noch günstigere Tickets wären ein Affront. Denn: Kunst muss auch einen monetären Wert haben, der sich in Wertschätzung überträgt.

2: Das Theater muss auch jenseits des Saals leben

Theaterstücke können auf der Bühne eine wunderbare Wirkung erzielen. Sobald aber die Aufführung beendet ist, verstauben die Texte, ja, sie sterben, wenn sie nicht von Shakespeare, Molière oder Dea Loher sind. Dagegen aber gibt es ein Rezept: die Publikation. In Luxemburg hat seit zwei Jahren der Hydre Verlag es sich zur Aufgabe gemacht, Anthologien mit zeitgenössischen Luxemburger Theatertexten zu veröffentlichen. So leben die Stücke von Samuel Hamen, Jeff Schinker, Elise Schmit, Larisa Faber, Stéphane Ghislain Roussel, Mandy Thiery, Marie Jung und Raoul Biltgen nach ihren Aufführungen weiter.

Liesung (2023), Jean Portante © Mierscher Kulturhaus

Eine weitere Möglichkeit, im Theater Öffentlichkeit entstehen zu lassen, sind Diskussionsformate. Es gibt das berüchtigte Vorge­spräch, das aber weniger ein Gespräch als ein Monolog ist, bei dem den Zuschauern zwar interessante Informationen zur kommenden Inszenierung an die Hand gegeben werden, es aber keine Möglichkeit des Austausches gibt. Das Angebot, im Anschluss an eine Aufführung mit den Schauspielern ins Gespräch zu kommen, ist gut gemeint, aber mit Blick auf das Thema einer veritablen kritischen Debatte uninteressant, weil kein Luxemburger und auch kein Zugereister einem Schauspieler an den Kopf wirft, dass sein Spiel unangemessen gewesen sei. Hier bräuchte es neue Formate, bei denen die Künstler eben nicht anwesend sind, die Gemeinschaft der Zuschauer aber sich über das eben Gesehene austauschen könnten. Frank Feitler hat vor einigen Jahren im Gespräch mit Natalie Bloch sehr klug formuliert, dass er nicht daran glaube, dass man „mit Theater irgendwas verändern wird. Aber man wird sicherlich Diskussionen anstoßen.“1 Solche Diskussionen könnten in den Räumlichkeiten der Theater selbst oder aber in benachbarten Bars oder Restaurants stattfinden.

3: Festivals als Orte des Austauschs

Viele Luxemburger fahren Jahr für Jahr nach Avignon, um sich dort mehrere Produktionen an einem Tag an­ sehen zu können. Dies aber ist ein gewisses Elitenphänomen und hat nichts gemein mit den Überlegungen in diesem Text zu der Frage, wie das Theater in Luxemburg wieder ein Ort für eine veritable Herstellung von Öffentlichkeit werden könnte.

In dieser Hinsicht ist es schön, dass es in Luxemburg ganz eigene Strategien für festivalartige Ereignisse gibt. Zu nennen sind unter anderem das Theaterfest in der Stadt Luxemburg oder aber die Mierscher Theaterdeeg, die dieses Jahr bereits zum dritten Mal stattfinden. In Mersch war es so und wird es auch dieses Jahr wieder so sein, dass nicht nur neue Stücke gezeigt werden, sondern dass es auch ausreichend Raum für den kritischen Austausch mit dem Publikum gibt. Für die diesjährigen Theaterdeeg sind zum Beispiel gleich drei Diskussionsrunden vorgesehen, bei denen ein Dialog zwischen Theatermachern und Publikum ermöglicht wird. Und dieser Dialog ist entscheidend, wenn Theater im 21. Jahrhundert noch Sinn erzeugen soll. Jakob Hayner hat dazu in seinem Essay über das Theater Folgendes geschrieben: „Die Frage nach dem Warum des Theaters, die auch den Ausgangspunkt der Erneuerung seiner Idee bildet, wird nicht von den Künstlern allein beantwortet werden können. Auch das Publikum ist aufgefordert, sich Ant­worten zu ersinnen.“2 Es wäre viel gewonnen, wenn sich im Mai in Mersch ein solcher Dialog zwischen Theater­machern und Publikum herstellen ließe.

Diskussioun (2023), Feminismus a Sexismus am Theater © Mierscher Kulturhaus
Diskussioun (2021), De Wee vum Text © Mierscher Kulturhaus

1. „das Land müsste schließen, wenn wir sagen würden, ,Ausländer raus‘“. Frank Feitler im Gespräch über Publikum und Zuschauerreaktionen, Identität, die Leitung eines Dreispartenhauses und das Sich­Reiben an der Realität, in: Natalie Bloch (Hg.): Internationales Thea­ter und Inter-­Kulturen. Theatermacher sprechen über ihre Arbeit, Wehrhahn Verlag: Hannover 2017, S. 111-­125, hier 123.

2. Jakob Hayner, Warum Theater. Krise und Erneuerung, Matthes & Seitz: Berlin 2020, S. 24.

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