EINE LITERARISCH-BIOGRAFISCHE KONZERTREIHE ÜBER DAS LEBEN VON KOMPONISTINNEN
Mit der Konzertreihe Frauen mit Flügel lassen die Musiker·innen des Trio Dora und die Schauspielerin Fabienne Elaine Hollwege das Leben nahezu vergessener Komponistinnen und deren künstlerische Arbeiten aufleben. Jedes Konzert wird anhand von biografischem Material entwickelt, um durch das Zusammenspiel von Musik und Text ein lebendiges Bild der jeweiligen Komponistin zu zeichnen. Dieses theatrale Format ermöglicht es dem Publikum tief in das Leben der jeweiligen Komponistin einzutauchen. Das Konzert Sie ging ja nur vorbei im Mierscher Theater zeigt das Leben der kroatischen Komponistin Dora Pejacevic, der Namensgeberin des Trio Dora.
Erste Schritte mit Clara Schumann
Als sich 2019 der 200. Geburtstag von Clara Schumann jähren sollte, entstand der starke Wunsch, diese außergewöhnliche Frau und Komponistin zu ehren. Das Trio wandte sich an die Musikwissenschaftlerin Danielle Roster, einer Spezialistin auf diesem Gebiet, und an das Mierscher Theater. In einem anregenden Gespräch mit Direktor Claude Mangen, kam die Idee auf, Fabienne Elaine Hollwege als Schauspielerin in das Projekt zu integrieren, um so Clara Schumann auf der Bühne lebendig werden zu lassen.
Bei einem ersten Brainstorming zwischen Musiker·innen und Schauspielerin fielen etliche Namen von Komponistinnen, die – anders als Clara Schumann – das Glück nicht hatten, von Vätern und Ehemännern umgeben zu sein, die sie stetig unterstützten und förderten. Die ab dem Zeitpunkt ihrer Heirat gezwungen waren aufzuhören mit dem Spielen. Oder all jene Frauen, die sich der eigenen Familie entsagen mussten um weiter komponieren zu dürfen und die trotzdem nicht veröffentlicht wurden. Nicht aus Mangel an Qualität, sondern ihres Geschlechtes wegen. Die nur aus diesem Grund nicht oder kaum gespielt wurden und in Vergessenheit gerieten.
Während das Trio und die Schauspielerin über die Komponist·innenleben von früher sprachen, kamen ihnen all die Schwierigkeiten in den Sinn, die auch heute noch ganz präsent sind. Sie fragten sich, inwiefern die Situation als Künstler·innen, Eltern, Pädagog·innen, Interpret·innen heute anders, besser oder ähnlich sei?
Das Ausmaß der Ungerechtigkeit der Situation einer schöpferischen Frau in den letzten Jahrhunderten wurde dabei so sichtbar, dass es den Künstler·innen klar war, genau diese Biografien von Komponistinnen, mit all den Schwierigkeiten und Ungerechtigkeiten ihrer Zeit, aufleben zu lassen und den Fokus auf weibliche Kunst zu richten, die durch die patriarchal geprägte Kulturhistorie und die Unterdrückung der Frau über Jahrhunderte hinweg kaum sichtbar sein durfte und selten Raum fand, geschweige denn geachtet oder ernst genommen wurde. Im Gespräch mit dem Mierscher Theater fanden wir einen Partner und Koproduzenten, der uns seither in der Umsetzung dieses Formates unterstützt.
AUF DEN SPUREN VON DORA P.
Carole Leyers
Anlässlich des 100. Todestages von Dora Pejacevic im Jahr 2023, wollten wir unbedingt ihre Kompositionen und ihr Leben würdigen. Die große Schwierigkeit dabei war, dass es nur sehr wenig öffentlich zugängliches Material über ihr Leben gab. Nur zwei Bücher waren vorhanden, geschrieben von den Musikwissenschaftlerinnen Koraljka Kos und Elena Ostleitner. In diesen Büchern fanden wir nur ein paar Brief-Fragmente, jedoch nicht die integralen Briefe. Enttäuscht stellten wir fest, dass wir nicht genügend Material zusammenkriegen würden um ein biografisches Konzert über Dora entstehen zu lassen. Das Wissen über die Existenz von weiterem Material stachelte unsere Neugier jedoch an und es ärgerte uns zunehmend, dass es nicht möglich schien, Zugriff zu bekommen.
The Dora Journey
“Dora ist keine fremde Person mehr. Sie ist unsere Herzensschwester.” Während ihren Recherchen zu Sie ging ja nur vorbei haben Annalena Castagna und Carole Mallinger-Leyers die Komponistin Dora Pejacevic ins Herz geschlossen. Im opus 100,7 Podcast The Dora Journey erzählen die Musikerinnen vom spannenden, inspirierenden und dennoch immer wieder auch tragischen Leben der Komponistin.
Hören Sie ab dem Oktober jede Woche eine neue Folge auf www.opus.radio
2020, während des Lockdowns, als ich mit meiner 6 Wochen alten schlafenden Tochter auf dem Bauch im Gras lag, musste ich an Dora denken, an ihr Leben, ihre Musik. In diesem Moment fasste ich den Entschluss, nach Kroatien zu reisen, um dort ihre Briefe zu finden.
Wo sollte ich mit meiner Suche anfangen? Zunächst rief ich verschiedene Ämter in Kroatien an: das kroatische Kulturministerium, wo ein überaus freundlicher und hochmotivierter Rezeptionist mir begeistert weiterhalf und es nicht fassen konnte, dass ich aus Luxemburg anrufen würde um etwas über „ihre Dora“ herauszufinden. Dann das kroatische Konsulat, schließlich die Croatian Academy of Sciences and Art, wo man mir die Telefonnummer von Koraljka Kos mitteilte. Ich konnte mein Glück kaum fassen!
Im Telefonat mit Koraljka Kos erfuhr ich, dass alle erhaltenen Briefe im Archiv des Croatian Music Institute seien, um das sich Nada Bezic kümmere. Ausserdem sagte sie mir, dass ich unbedingt mit Silvija Lucevnjak, der Direktorin des Museums in Nasice, dem ehemaligen Wohnort von Dora Pejacevic, sprechen müsse und mit Davor Merkas, dem Musikwissenschaftler des Croatian Music Information
Center.
Obwohl alle sehr hilfsbereit waren, kam ich auf der Suche nach Doras Briefen nicht voran. Erschwerend kam hinzu, dass ein Erdbeben 2020 in Zagreb das Gebäude des Kroatischen Musikinstituts zerstört hatte. Die archivierten Dokumente konnten zwar aus dem Gebäude geborgen werden, aber da diese zu dem Zeitpunkt noch nicht digitalisiert waren und alles so schnell wie möglich aus dem Gebäude heraustransportiert werden musste, herrschte selbst Jahre nach dem Erdbeben Chaos. Ich wusste nun mit Sicherheit, wenn ich Doras Briefe finden wollte, musste ich in den verschiedenen Archiven vor Ort suchen. Im Herbst 2022 begann ich meine Reise auf den Spuren von Dora P. zu planen.
Am 6. März 2023 ging meine Reise zunächst nach Wien ins Institut für Musiksoziologie der Universität für Musik und darstellende Kunst, wo der Nachlass von Elena Ostleitner aufbewahrt wird. Ich wurde freundlich empfangen und mir wurde ein kleiner Raum zugewiesen.Eine einzige Kiste stand auf dem Tisch. Das war alles, was von ihren Recherchen über Dora Pejacevic übrig geblieben war. Darunter befand sich unter anderem eine Ausgabe der Czerny Etüden, die einst Dora Pejacevic gehörte. Und jetzt durfte ich dieses Buch in den Händen halten, durfte es durchblättern und die zahlreichen Annotationen, teilweise von ihrem Professor, teilweise von ihr selbst, begutachten. Das war für mich sehr bewegend und bleibt bis heute eine meiner schönsten Erinnerungen an diese Reise.
Am nächsten Tag ging es mit dem Zug nach Prag, wo der Nachlass der Familie Nadherny von Borutin im Staatsarchiv aufbewahrt wird, darunter ein Teil der Korrespondenz zwischen Johannes Nádherny von Borutin und Dora Pejacevic, sowie die Tagebücher von Sidonie Nádherná von Borutin. Dort bekam ich einen Platz am PC zugewiesen und mir wurde gezeigt, wie ich mich durch die zahlreichen Briefe durcharbeiten konnte. Von den Briefen, die mir wichtig schienen, würde man Fotokopien machen. Ich las mich mit pochendem Herzen durch die Briefe und freute mich über jeden verwendbaren Fund für
unser Projekt.
Am 20. März flog ich nach Zagreb. Zuerst traf ich mich im Croatian Music Information Center mit Davor Merkaš, dem bekanntesten kroatischen Musikwissenschaftler, der sich unermüdlich dafür einsetzt, vergessene kroatische Komponist·innen zur Aufführung zu bringen. Er erzählte viele interessante Geschichten, doch leider nichts Verwendbares für unser Projekt. Am nächsten Tag ging ich ins Kroatische Staatsarchiv. Dort traf ich mich mit Nada Bezic, die für mich alle interessanten Dokumente aus dem Pejacevic-Archiv herausgesucht hatte. Nun saß ich in diesem wunderbaren weißen Raum, mit 15 Meter hohen Decken, Stuck, Glasmalerei, Wandmalerei und zwei riesigen, prächtigen Lüstern. Ich war wie verzaubert und in eine andere Zeit entführt. Endlich durfte ich Doras Briefe in den Händen halten. Aber nicht nur ihre, auch die von ihrer Schwester, von ihrem Mann, von bekannten Dirigenten, renommierten Musikern, die alle auch noch nach Doras Tod versuchten, ihre Werke zur
Aufführung zu bringen.
Das war für mich der emotionalste Moment: all diese Briefe, die ich bisher nur fragmenthaft zu lesen bekommen hatte, lagen nun in ihrer Gesamtheit vor mir. Doras Worte zu lesen, die sie kurz vor ihrem Tod an ihren Mann richtete, rührten mich zu Tränen, und ich musste mehrmals Pausen einlegen, so tief trafen mich ihre Worte.
Am Nachmittag ein weiterer Höhepunkt: ein Treffen mit Koraljka Kos, der Musikwissenschaftlerin, die fast ihr ganzes Wirken damit verbracht hatte, das Leben und das Werk Dora Pejacevic’s für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen und für die Nachwelt zu erhalten. Sie war zu dem Zeitpunkt 89 Jahre alt und am Umgang, den die Leute mit ihr pflegten, spürte man deutlich: sie ist eine Institution. Diese Frau zu treffen und mit ihr über Dora zu sprechen, war für mich sehr berührend. Ich spürte in unserem Gespräch ganz deutlich, dass sie, trotz einer wissenschaftlichen Nüchternheit, liebevoll von Dora sprach, als wäre sie ihre kleine Schwester.
Am dritten Tag fuhr ich mit einem Leihwagen 230km von Zagreb nach Nasice, zu dem Schloss, in dem Dora einen Großteil ihres Lebens verbracht hatte. In Našice angekommen, wurde ich sehr herzlich von Renata Bosnjakovic’, der Bibliothekarin und Melita Husnak, der Kuratorin des örtlichen Museums in Empfang genommen. Da das Schloss der Pejacevic’s leider wegen Renovierungsarbeiten geschlossen war, spazierten wir durch den Schlossgarten, besichtigten den Kiosk, in den Dora sich oft zurückgezogen hatte um zu komponieren, und besuchten ihr Grab am Ausgang der Kleinstadt. Mit dem Herz voller Emotionen, dem Kopf voller Erinnerungen und Briefen im Gepäck, flog ich zurück nach Luxemburg. Unsere Arbeit über Dora Pejacevic konnte endlich beginnen.
Sie ging ja nur vorbei sollte am 25. November 2023, zum hundertsten Todestag von Dora Pejacevic aufgeführt werden. Doch nur einige Tage vor Beginn meiner Reise fand ich heraus, dass ich schwanger war. Das Konzert musste verschoben werden. Ironie des Schicksals, so empfand ich es, und damit schloss sich für mich der Kreis der Schwierigkeiten, auf die man auch heutzutage immer wieder stoßen wird, wenn man Künstlerin und Mutter ist.
Seit meiner Rückkehr sind meine Kolleg·innen und ich stetig dran das Material zu sichten, zu transkribieren, ein Skript zu erstellen, eine musikalische Auswahl zu treffen und uns in das Leben dieser Komponistin einzuarbeiten. Parallel wurde in Zusammenarbeit mit dem Radio 100,7 eine Podcastserie über Dora Pejacevic’s Leben aufgenommen, die ab Oktober 2024 gesendet wird. Nach einer langen Reise wird Sie ging ja nur vorbei am November 2024 am Mierscher Theater seine Uraufführung feiern.
Dora Pejacevic war eine kroatische Gräfin und Komponistin, die von 1885-1923 lebte und wirkte. Sie war belehrt, belesen, sprach fließend sieben Sprachen, spielte Geige, Klavier und komponierte. Zu ihrem Freundeskreis gehörten unter anderem Rosa Mladota-Lumbe, Sidonie Nádherná von Borutin und deren Bruder Johannes von Borutin, sowie zahlreiche Künstler und Künstlerinnen, u.a. Karl Kraus, Rainer Maria Rilke, Anette Kolb und Alice Ripper.
Obwohl sie in den Adel hineingeboren wurde, setzte sie sich ihr ganzes Leben lang für die Schwächsten der Gesellschaft ein. Während des Ersten Weltkriegs arbeitete sie als Krankenschwester in einem Lazarett. Immer wieder versuchte sie sich den Konventionen und allgemeingültigen Dogmen zu entziehen um ihr Leben nach eigenen Vostellungen zu leben. Nach einem leidenschaftlichen, tragischen und bewegten Leben, starb sie im Alter von nur 37 Jahren, kurz nach der Geburt ihres einzigen Kindes.