Elsa Rauchs
- Interview

Frau Beck, Sie sind in Liechtenstein geboren. Luxemburg und Liechtenstein werden manchmal als “ungleiche Zwillinge” bezeichnet. Geben sie dieser Beschreibung recht?
Ja, absolut. Es gibt viele Parallelen. Die Kultur, die Art und Weise, wie wir funktionieren, wie wir ticken, wir sind ähnlich. Und es sind beides kleine Länder – dazu muss ich sagen, dass Luxemburg für mich riesig ist. Hier gibt es Städte. Anfangs habe ich mich oft verfahren. Beide Länder sind auch von Flüssen geprägt. Der energetische, schnelle Rhein ist aber schwer mit der ruhigen Mosel zu vergleichen. Luxemburg ist zwar multikultureller, aber das ändert sich wohl auch in Liechtenstein.
Sie haben im Marketingbereich gearbeitet, ehe Sie einen neuen Weg eingeschlagen haben. Spielte Mut in dieser Entscheidung die Hauptrolle, oder warum meinen Sie, dass viele Leute doch oft beim Alten bleiben?
Viele Menschen sagen mir, dies sei sehr mutig gewesen. Ich habe das selber nie so empfunden. Es war ein sehr natürlicher Schritt. Ich bin in Liechtenstein gegenüber des Heilpädagogischen Zentrums aufgewachsen. Ich hatte immer Kontakt mit Menschen mit Beeinträchtigungen. Ich hatte immer schon den Wunsch, eines Tages Sozialarbeit zu studieren. Zu meiner Zeit war das in der Schweiz nicht so einfach. Ich habe eine Ausbildung zur Kauffrau gemacht. Aber es war für mich klar, dass ich nicht in diesem Arbeitsbereich bleiben musste. Marketing hatte auch Spaß gemacht, erfüllte mich aber nicht wie mein heutiges Leben.
Ich entwickele mich immer gerne weiter, mache Weiterbildungen, mal hier, mal da, habe so viele Interessen, die ich auslebe. Als ich nach Luxemburg gezogen bin, habe ich mein Leben komplett umgekrempelt. Warum es andere Menschen nicht machen? Schwer sagen. Ich kann nur jedem empfehlen, auf sein Herz zu hören.
Sie haben interdisziplinäre Tanzpädagogik auf der Akademie der Kulturellen Bildung in Remscheid studiert. Was waren die wichtigsten Lektionen dieser Zeit?
Lektionen würde ich es nicht nennen. Die Akademie besteht schon sehr lange und ihr wohnt eine spezielle Energie inne, die es seit ewig gibt. Es ist eine wunderschöne bubble. Das ist mir geblieben. Nach jedem Kurs zurück in die Realität zu finden war schwierig. Ich habe sehr viel gelernt, sehr viele Professionelle kennengelernt, viele Erfahrungen gesammelt, hauptsächlich in der somatischen Tanzpraxis, Community Dance und fähigkeitsgemischtem Tanz. Jeder Kurs hat mich bereichert.
Was versteht man unter somatischer Praxis?
Die somatische Praxis bezieht sich auf den ganzen leben den Körper und auf bewusste Ausübung und Wahrneh mung von Bewegungen von innen heraus.
Gehirn, Psyche oder Geist sind keine verschiedenen, separaten Sachen. Das Gehirn ist Teil des Körpers. Ich versuche immer, den Körper als Teil des Ganzen wahr zunehmen. Alles beeinflusst sich gegenseitig, auf jedem Niveau. Dieses Bewusstsein teile ich in jedem Kurs, den ich gebe, sei es nur in einer kleinen Übung.
Sie sind seit zehn Jahren Teil der Tanztruppe blanContact mit Leuten mit und ohne Beeinträchtigungen. Zehn Jahre sind eine lange Zeit. Welche Rolle spielt Alter in der Aktivität Tanz?
Es spielt schon eine Rolle. Ich merke an meinem Körper, dass ich zehn Jahre älter geworden bin. Eine große Rolle spielt Alter dann aber auch nicht. Mich interessiert, was von innen kommt. Wie bewegen sich Menschen von innen heraus? Wie drücken sie ihr Inneres aus? Das kann man auf verschiedene Art und Weisen in jedem Alter machen.
„GEHIRN UND KÖRPER SIND KEINE VERSCHIEDENEN, SEPARATEN SACHEN. ICH VERSUCHE IMMER, DEN KÖRPER ALS TEIL DES GANZEN WAHRZUNEHMEN.“
Sie sind künstlerische Gesamtleiterin der Wir stellen uns vor … ! Tanzaufführungen in der Kufa und im Mierscher Theater. Welche Ideen beseelen diese Aufführung?
Der Titel Wir stellen uns vor … ! ist zweideutig. Vorstellen bedeutet fantasieren und sich präsentieren. Es ist eine Mischung zweier Projekte, die schon für den Welt-Down-Syndrom-Tag gemacht wurden. Beim ersten Projekt, Puzzled, haben Mitglieder von Trisomie 21 Lëtzebuerg Bil der gemalt – diese wurden neu zusammengepuzzelt. Für‘s andere Projekt, Images, wurden ebenfalls Mitglieder von Trisomie 21 Lëtzebuerg fotografiert. Die Fotos wurden bei der Vernissage mit kleinen Tänzen vorgestellt.
Die Bilder von Puzzled hatten wir fotografiert. Die Tänzer·innen von DreamteamT21 und ich haben sie zu sammen angeschaut. Was sehen wir? Und wie können wir das, was wir sehen, bewegen? Es waren sehr tolle Momente, weil jeder etwas zu sagen hatte. Ich fragte die Tänzer·innen, wollt ihr daraus eine Aufführung machen? Ja, cool, warum nicht, waren die Antworten.
Wir stellen uns vor … ! startete mit einem Malatelier mit Mélanie Humbert und neu entstandenen Bildern. Diese Bilder erwecken wir mit unseren Tänzen zum Leben. Je der Tänzer, jede Tänzerin hat auch fantasievolle Selbstportraits gemalt. Wir werden uns mit und durch eigene Bilder und eigene kreierte Tänze vorstellen. Damiano Piccis Musikkomposition wurde von DreamteamT21s Lieblingslieder inspiriert.
Sie haben partizipatorisch gearbeitet? Als “Co-Choreographin” fungiert?
Absolut. Ich bestimme nichts im Voraus. Für mich gibt es da kein richtig oder falsch. Jeder tanzt, wie er will, wie er sich dann fühlt. Das kann von Vorstellung zu Vorstellung ändern. Alle 25 involvierte Personen entwickeln dieses Stück zusammen. Ich bringe gewisse Strukturen und Ideen mit, aber ich setzte diese nicht um, wenn sie den Tänzer·innen nicht gefallen. Und ich setze ihre Ideen um. Wir drei Leiterinnen der zwei Gruppen, Tessy Bemtgen, Aifric Ní Chaoimh und ich, tanzen mit. Ich habe eine gewisse Verantwortung als Leiterin, sehe mich aber genau so als Teil des Ganzen. Choreographin passt als Wort in dem Sinne nicht genau.
Wie “entlernt” man Hierarchie?
Es war ein Prozess und bleibt ein Prozess. Die wöchentlichen Kurse benutze ich, um dies aufzubauen. Es ist die Vereinigung von Sozialarbeiterin und Tanzvermittlerin mich interessiert am Tanz die Kombination beider. Für mich ist Tanz keine pure Kunst. Tanz ist für mich in diesem Kontext auch eine Methode der sozialen Arbeit. Ich habe auch soziale Ziele, die ich bei den Tänzer·innen des DreamteamT21 erreichen möchte. Ich möchte ihre Selbstständigkeit stärken. Ihre Persönlichkeitsentwicklung unterstützen. Lernen ja zu sagen, lernen nein zu sagen. Tanz ist eine geniale Art und Weise, diese Sachen implizit zu entwickeln.
Tanz ist traditionsbezogen. Auf welche Tanztradition bezieht sich Wir stellen uns vor … !?
Wir beziehen uns nicht auf eine spezifische Tanztradition. Wir stellen uns vor … ! und blanContact, sowie ähnliche Gruppen auf der ganzen Welt, könnten als Teil einer “neuen” Tanztradition bezeichnet werden, dabei ist nichts neu daran. Ich wünsche mir, dass mehr Tanzensembles fähigkeitsgemischt arbeiten und dies zur Selbstverständlichkeit wird. Dass unterschiedliche Ausgangslagen berücksichtigt werden, aber auch verschwinden. Spaß am Tanz und Freude an der Bewegung sind unsere Fokusse. Wir wollen jeden binnen seiner Möglichkeiten fördern und respektieren. Es gibt kein richtig oder falsch. Alles darf sein.